Mittwoch, 24. Mai 2017

Wieso es sich nicht (immer) lohnt, den "ausgetretenen Pfad" zu verlassen [unpopular opinion]

Ich habe die Reiseblogs satt, die "Touristen" von "Reisenden" unterscheiden, die was gegen "Attraktionen" haben und stattdessen natürlich ausschließlich "off the beaten path" unterwegs sind. Sie geben mir das Gefühl, dass sie sich für etwas besseres halten und dass ihr Weg zu verreisen der einzig richtige ist. Regelmäßig liest man dort, wie schrecklich es ist, mit den ganzen "Touristen" an der Kasse am Eiffelturm Schlange zu stehen. Stattdessen sei es doch besser, abseits der herrkömmlichen Route in einem Künstlercafé am Stadtrand des Hipsterviertels einen Kaffee, Verzeihung, ich meine natürlich Flat White, zu trinken.

Na klar, denn der "Vibe" dort verrät mir sehr viel mehr über das Lebensgefühl und die Umwelt eines echten Parisers (ersetze durch den Namen jeder anderen Stadt dieser Welt) als es jegliche "Touristenattraktion" machen könnte. Kommt ja auch viel besser, einen Post mit dem Titel "10 Orte, die du in Paris nicht kennst, aber UNBEDINGT sehen musst" zu veröffentlichen. Klar, für den, der nach Paris fahren will, ist es redundant, darauf hingewiesen zu werden, dass es die Stadt des Eiffelturms und vom Louvre und der Mona Lisa ist. Das weiß jeder. Aber ist es deswegen schlecht, genau diese Sachen dort zu erleben, wie es so oft dargestellt wird? Geht es für den jeweiligen Verfasser dieser Texte dabei nicht eher darum, sich selbst über die Masse zu stellen und so zu tun, als wäre man ein Einheimischer Insider? Weil jemand eine Woche in der Stadt der Liebe verbracht hat, heißt das aber doch noch lange nicht, dass er oder sie weiß, wie es wirklich ist. 

(Aber ganz ehrlich - wenn du mich fragen würdest, wie ist Bielefeld? Oder wie ist Essen? Oder wie ist Zagreb, wie ist Danzig? Ich könnte es dir nicht sagen. Das sind Fragen, auf die wohl niemand eine Antwort hat. Ich habe in jeder dieser Städte mindestens ein halbes Jahr gelebt, ich kenne Cafés und Clubs, Museen, Parks, ich weiß, wo der nächste Bioladen ist und wo ich gern ein halbes Hähnchen esse. Ich weiß, wie die Straßenbahnen fahren und wie ich schnell von A nach B komme. Aber die ganze Dynamik kann ich trotzdem nicht verstehen. Ganz einfach darum, weil sie jeden Tag anders ist. Weil Cafés schließen und neue aufmachen, Preise sich ändern, ich älter werde und mein Geschmack nicht so stabil sein kann. Auch, nachdem ich die ersten 20 Jahre meines Lebens in einer Kleinstadt verbracht habe, kenne ich dort unmöglich jeden Ort. Wer sagt denn, dass das Eis von Tomea wirklich das beste ist? Vielleicht macht ja gerade mein Nachbar das beste Eis der Stadt, und ich weiß nichts davon, weil er keinen Eisladen aufmacht.)

Was gegen den "ausgetretenen Pfad" spricht

Oft finde ich günstigere Preise für Essen und Getränke. Oft fehlt der Putz an den Wänden und das finde ich schön. Ich kann sehen, in welchen Verhältnissen die Einheimischen leben. Zumindest an genau dem Ort, wo ich mich in jenem Moment befinde.

Was für den "ausgetretenen Pfad" spricht

Du irrst durch abseits gelegene Viertel, weil sie einen hippen Ruf haben, aber sie haben vielleicht gar nichts zu bieten außer ein paar heruntergekommener Hochhäuser. Du kommst mit Englisch vielleicht nicht weiter, wenn du den ausgetretenen Pfad verlässt. Und die Restaurants haben nur Karten auf ihrer eigenen Sprache, ohne Bilder. Und ohne Internet und Google Translate kannst du nur raten, was du da gerade bestellst. An den coolen Diskussionsrunden, die angeblich in dem Künstlercafé dort stattfinden, kannst du nicht teilnehmen, weil sie auf polnisch/aramäisch/Urdu/sonst irgendeiner Sprache (die du nicht verstehen kannst) stattfinden.

Was ich sagen will: Die ganzen Menschenmassen vor dem Eiffelturm wollen nicht ohne Grund da oben rauf. All die Touristen in Rothenburg ob der Tauber sind dort, weil es genau dort gerade schön ist. Wieso in ein Dorf 20 Kilometer weiter abseits fahren, wenn es da genau so aussieht wie bei mir zuhause auch, nur weil "die Touristen" es bislang weitgehend "verschont" haben?

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